Wenn man nach den Top-Trends der Retailbranche für 2021 sucht, findet man „Direct-to-Consumer (D2C)“ in fast jedem relevanten Ergebnis.
Wie kann das sein, fragst du dich vielleicht. Menschen verkaufen doch seit Jahrzehnten direkt! Die Bedeutung des Direktverkaufs hat sich im Laufe der Jahre mehrmals verändert. Die jüngste Transformation passiert genau jetzt: Einzelhändler investieren nicht nur in eine D2C-Strategie, um ihre Umsätze zu steigern, sondern auch, um eine globale Marke aufzubauen. Das Verständnis der Motivation hinter dieser Verlagerung ist sehr wichtig für Einzelhändler, damit sie das durch D2C angebotene Potential voll ausschöpfen können.
D2C sah vor 20 Jahren noch anders aus
Der Begriff „D2C“ ist eigentlich unpassend, da er nicht alle Arten des Direktverkaufs umfasst. Wenn du beispielsweise im 18. Jahrhundert im Old Spitalfields Markt in London von deinem Karren Kartoffeln verkauft hättest, wärst du keine D2C-Marke gewesen.
D2C bezieht sich spezifisch auf eine Art des Handels, bei dem Kunden direkt von der gebrandeten Website oder App eines Einzelhändlers kaufen. Der Begriff entstand in den 1990er Jahren, als das Internet in seiner Blütezeit war und Einzelhändler plötzlich die Möglichkeit hatten, ihre Produkte auf preisgünstige Art und Weise an Kunden auf der ganzen Welt zu verkaufen.
D2C wurde als eine demokratische, moderne Form des Handels populär. Einzelhändler konnten eine Website mit einer integrierten E-Commerce-Plattform erstellen und ihre Produkte an Kunden verkaufen, ohne einen Großhändler, einen Online-Marktplatz oder einen spezialisierten Vertriebshändler davon überzeugen zu müssen, dass ein Produkt für deren Sortiment würdig sei. Genau dieser leichte Zugang, zusammen mit minimalen Markteinführungszeiten, machten D2C zu einem populären Vertriebskanal für Startups in ihrer Anfangszeit. Zusammen mit günstiger Werbung auf sozialen Medien und viel Risikokapital konnten Kleinunternehmen mit D2C-Handel ihr Geschäft mit vollem Tempo starten und skalieren.
Eine Zeitlang war das Muster immer gleich: Unternehmen würden ihr Geschäft mit einem minimalen Produktangebot starten (manchmal sogar nur mit einem einzigen Produkt), sich eine kleine Gemeinschaft treuer Anhänger aufbauen und dann das Geschäft mit Werbung auf sozialen Medien skalieren. Heute sind viele der Startups, die anfänglich florierten, mit explodierenden Werbekosten auf sozialen Medien und einer stetigen Abnahme ihrer Instagram-Follower konfrontiert; eine Konsequenz der Sättigung des Marktes. Selbst wenn ein Unternehmen der Konkurrenz einen Schritt voraus ist, gibt es ein Limit, wie weit es nur mit dem Verkauf über das Internet skalieren kann. Diese Unternehmen haben momentan einen Patt erreicht.
Die heutige D2C-Landschaft verändert sich
D2C ist nicht mehr nur ein Merkmal für rein webbasierte Startups, sondern hat jetzt den Mainstream erreicht. Diese Verlagerung ist auf zwei Hauptgründe zurückzuführen.
Der erste Grund ist die COVID-19-Pandemie: Etablierte Einzelhändler – insbesondere diejenigen, die zuvor ihre Produkte hauptsächlich oder ausschließlich in Geschäften in der Innenstadt oder in Einkaufszentren verkauften – investieren in eine D2C-Strategie. Durch die Schließung von Geschäften während der Pandemie kauften plötzlich so viele Menschen wie noch nie online ein und Einzelhändler machten den E-Commerce schnell zu einer wichtigen Priorität. Studien von Adobe Analytics zufolge erlebte BOPIS (Buy Online, Pick up In-Store / Online kaufen und im Geschäft abholen) beispielsweise beim Vorjahresvergleich im Jahr 2020 im Februar ein Wachstum von 28 % gegenüber 18 % im Januar. Auch wenn viele Einzelhändler diese Initiativen als eine vorübergehende Lösung sahen, ermutigte die wachsende Popularität digitaler Retailerlebnisse viele Einzelhändler, weiterhin in E-Commerce-Plattformen zu investieren.
Der zweite und vielversprechendste Grund ist ein wachsendes Interesse globaler Einzelhändler am Potential für eine D2C-Strategie, um ihr Markenimage zu stärken und es vor einer Verwässerung zu schützen. Je größer ein Unternehmen wird, desto schwieriger kann es sein, die Marken-Botschaft konsistent zu halten. Der Grund: jeder weitere Dritthändler bedeutet eine zusätzliche Fragmentierung der Marke und mehr Raum für ein ungleichmäßiges Kundenerlebnis. Einzelhändler haben nur einen begrenzten Überblick bzw. eine begrenzte Kontrolle über die von Dritten bereitgestellten Produktbeschreibungen, deren Lieferzeiten oder deren Kundendienst. Weil Vertriebspartner niemals so viel Mühe in die Verfechtung der Marke eines Einzelhändlers wie der Einzelhändler selbst stecken, ist die Investition in eine D2C-Strategie die beste Maßnahme, die Einzelhändler zur optimalen Präsentation ihrer Marke ergreifen können.
Eine Online-Präsenz ist zunehmend wichtig
Verbraucher informieren sich mehr denn je, bevor sie ein Produkt kaufen. Laut Think With Google recherchieren heute 63 % der Shopper eine Marke online, bevor sie ein Produkt kaufen. Wenn sie die gesuchten Informationen nicht finden können, würden laut einer Studie von Akeneo 72 % ein Produkt woanders kaufen. Verbraucher wollen nicht das Risiko eingehen, von Einzelhändlern zu kaufen, über die sie nicht viel wissen, insbesondere während der COVID-19-Pandemie.
Eine Website für die Marke zu haben, die Verbrauchern die für eine informierte Entscheidung benötigten Informationen liefert, ist der beste Weg, um diese Bedenken auszuräumen. Selbst die simpelste D2C-Strategie, die sich primär auf die E-Commerce-Lösung konzentriert, kann Verbrauchern Informationen geben, die nirgendwo sonst verfügbar sind. Produktleitfäden, häufig gestellte Fragen und Größentabellen sind nur einige Beispiele für Leistungen, die Verbrauchern bei der Wahl des für sie richtigen Produkts sehr helfen können. Einige Modehändler gehen sogar noch einen Schritt weiter: sie bieten Verbrauchern die Möglichkeit, sich dasselbe Produkt an Models mit unterschiedlichen Körperformen anzuschauen.
Einer der häufigsten Gründe, warum Verbraucher während der Pandemie vor einem Online-Kauf zurückschrecken, ist die Tatsache, dass sie Artikel nicht wie in einem Geschäft anfassen können. Wenn Einzelhändler Verbrauchern so viele Informationen zu einem Produkt wie nur möglich geben, können sie das Vertrauen von Konsumenten gewinnen. Für Verbraucher im Lockdown ist es extrem wichtig, dass sie den Versprechen eines Einzelhändlers trauen können. Die Hälfte der befragten Personen in einer Edelman-Studie stimmen dem folgenden Satz zu: „In dieser Krisenzeit wende ich mich immer mehr den Marken zu, bei denen ich absolut sicher sein kann, dass ich ihnen trauen kann“ (52 % in Großbritannien, 51 % in Frankreich und 48 % in Deutschland). Es reicht nicht mehr, zu vermuten, dass ein Einzelhändler vertrauenswürdig ist; Verbraucher wollen absolute Sicherheit.
Neben Produktinformationen wollen Verbraucher auch etwas über die Marken wissen, von denen sie kaufen. Die Mission einer Marke, ihr Zweck und ihre Haltung gegenüber sozialer Verantwortung sind heute Schlüsselkriterien, um die Entscheidungsmuster von Verbrauchern zu ändern. Einem Bericht von McKinsey zufolge sind Verbraucher über alle Generationen hinweg bereit, mehr Geld für Produkte auszugeben, die ihrer Meinung die Umwelt schützen, sich für die Rechte von Arbeitern einsetzen und Inklusivität sicherstellen. Wenn sie glauben, dass Marken ihre soziale und ihre Umweltverantwortung vernachlässigen, ist die Wahrscheinlichkeit heute sehr groß, dass Verbraucher diese Marken nach Möglichkeit meiden. Tatsächlich steht im Edelman-Bericht, dass 71 % der Verbraucher für immer das Vertrauen in eine Marke verlieren würden, wenn diese Profit über Menschen stellen würde.
Die Marke steht im Mittelpunkt
Die erfolgreichste D2C-Strategie beginnt nicht mit einer E-Commerce-Lösung, bei der nachträglich eine Website um sie herum gebaut wird. Eine erfolgreiche D2C-Strategie verkauft ihre Marke ebenso stark wie ihre Produkte. Während die E-Commerce-Lösung oft nur eine von vielen potentiellen Einnahmequellen ist, ist die Website des Unternehmens der Hauptsitz der Marke.
Hier sind einige Möglichkeiten, wie Einzelhändler ihre Marke durch eine D2C-Strategie stärken können:
- Kommuniziere die Werte deiner Marke deutlich und ziehe in Erwägung, Abschnitte zu Nachhaltigkeit, sozialer Verantwortung, inklusiven Praktiken sowie Informationen zur Reaktion des Unternehmens auf COVID-19 aufzunehmen.
- Beschäftige dich in einem Blog mit Themen, die für deine Marke relevant sind, und publiziere Blogs von Gastautoren, die dieselben Werte wie du haben.
- Zeige Verbrauchern, dass dir ihr Erlebnis deiner Marke wichtig ist: Arbeite an einem konsistenten Kundendienst, antworte direkt auf Kundenrezensionen und sende Feedback-Umfragen an deine Kunden.
- Biete Verbrauchern spannende Sonderaktionen, abobasierte Verkäufe, Produktbündel, Flash-Verkäufe, kostenlosen Versand und Geschenke.
- Personalisiere das Kundenerlebnis, z. B. indem du Kunden ihre eigenen Produkte entwerfen und ihre eigenen Bündel erstellen lässt.
- Reduziere Reibung so weit wie möglich, indem du Kunden ein Konto anlegen lässt, das ihre Versand- und Zahlungsdaten speichert.
- Belohne deine treuesten Kunden über Mitgliederprogramme, die Mitglieder besondere Vorteile wie z. B. Vorverkaufszugang und exklusive Rabatte geben.
- Biete Online-Aktivitäten an, die deine Marke ergänzen, z. B. Schminktutorials mit Experten und Yoga-Stunden.
- Steigere die Verbundenheit deiner Kunden mit deiner Marke, indem du eine Community-Seite einrichtest, auf der du Geschichten von deinen Kunden, Markenbotschafter und Events veröffentlichst.
Große Marken sollten nicht in eine D2C-Strategie investieren, um ihre Umsätze zu steigern, sondern um eine Marke aufzubauen, die Kunden so aufregend finden, dass Umsätze über alle Vertriebskanäle hinweg gesteigert werden.
Die D2C-Strategie der Zukunft
Für einige Einzelhändler ist die Website des Unternehmens nur ein digitales Asset in der D2C-Strategie.
Über die nächsten Jahre werden wahrscheinlich mehr Einzelhändler Einzelhandels-Apps für Mobil-, Smarthome- und Smartwear-Geräte auf den Markt bringen. Statt nur mobilfreundliche Versionen der Website bereitzustellen, bieten die besten Einzelhandels-Apps Erlebnisse, die exklusiv für die App sind. Sie bereichern digitale Kanäle und schaffen gleichzeitig neue Verbrauchererlebnisse.
Einzelhandels-Apps setzen auf das Prinzip, dass Kundentreue mit dem Markenengagement steigt. Restaurant-Apps können es dir beispielsweise ermöglichen, direkt am Tisch zu bestellen, und mit Supermarkt-Apps kannst du vielleicht eine digitale Karte des Supermarkts öffnen oder über Sonderangebote informiert werden, wenn du an bestimmten Produkten im Geschäft vorbeigehst. Möbel-Apps könnten VR-Funktionen integrieren, damit du dir anschauen kannst, wie ein Möbelstück bei dir zuhause aussehen würde. Im Sportswear-Bereich könnte es eine Trainings-App sein, wie die, die von Nike und Adidas angeboten werden. Wenn Einzelhandels-Apps als Teil einer D2C-Strategie eingesetzt werden, haben sie das Potential, das Markenengagement über alle Märkte hinweg zu steigen.
Spielst du mit dem Gedanken, in eine D2C-Strategie zu investieren? Dann halte Ausschau nach einem Folgeartikel mit Tipps, wie du deine D2C-Vertriebskanäle optimal realisierst.