Ist dein Unternehmen durch Zufall erfolgreich? In seinem neuen Artikel bietet Jean-Pierre Lambert Hilfestellung bei der Bewertung des eigenen Produktansatzes anhand einiger zentraler Kriterien.

In einem wirklich agilen Umfeld zu arbeiten, hat etwas sehr Erfüllendes. Agile Unternehmen erbringen kontinuierlich Leistung auf einem hohen Level und generieren Wert in hohem Tempo, insbesondere in zwei Kernbereichen. Sie sind in der Lage, innerhalb kurzer Zeit Lösungen entwickeln und auf den Markt bringen („Time to Market“), aber auch schnell die richtige Lösung zu definieren, die Umsatz generieren wird (was man als „Time to Product/Market Fit“ bezeichnen könnte).

Ist auch deine Firma ein solches Unternehmen? Ist sie wirklich agil oder arbeitet sie in Wahrheit nach dem Waterfall-Approach, das als agiler Prozess getarnt ist? Ich empfehle, einen Schritt zurückzutreten und das Unternehmen aus einem übergeordneten Blickwinkel zu betrachten. Von hier ist eine produktbezogene Perspektive möglich.

Bei der Bewertung des eigenen Unternehmens gibt es einige zu berücksichtigende Elemente. Ein wirklich agiles Unternehmen erfüllt die folgenden vier Aspekte:

☐ Die Vision ersetzt die Roadmap

☐ Entscheidungen sind datengetrieben und basieren auf Fakten

☐ Die Teams sind in den Produktprozess eingebunden

☐ Alle Teams arbeiten nach agilen Methoden und unterstützen die Produktvision

Im weiteren Verlauf des Artikels werden diese vier Aspekte anhand von Beispielen veranschaulicht.

1. Die Vision ersetzt die Roadmap

☑ Es wird keine Roadmap erstellt. Stattdessen sind die im Unternehmen durchzuführenden Maßnahmen gut priorisiert. Man konzentriert sich nur auf die Maßnahme mit der höchsten Priorität und geht erst dann zur nächsten Maßnahme über, wenn die vorige abgeschlossen ist. Das Projekt wird über ein Kanban-Tool koordiniert.

☑ Es wird keine langfristige Roadmap erstellt. Das gesamte Unternehmen arbeitet in kurzen Zyklen (z.B. sechs Wochen) und entscheidet nach jedem Zyklus, was es als nächstes tun wird. Über diese sechs Wochen hinaus wird nichts geplant.

☑ Eine Roadmap beschreibt die geschäftlichen Effekte (z. B. Anstieg der Nutzerzahl) ohne eine konkrete Terminangabe. Sie vermittelt die Vision, nennt aber nicht die einzelnen Schritte, die zur Erreichung dieser Vision notwendig sind.

☒ Es ist eine Roadmap erforderlich. Sie listet alle Aufgaben für das bevorstehende Jahr auf und nennt alle geplanten Funktionen und einen konkreten Fertigstellungstermin.

2. Entscheidungen sind datengetrieben und basieren auf Fakten

☑ Das Unternehmen kennt den Unterschied zwischen Annahmen und Fakten und versucht aktiv, seine Annahmen zu validieren oder zu widerlegen, um faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Es wendet also den Lean-Startup-Ansatz an, den ich in einem früheren Artikel beschrieben habe.

☑ Das grundlegende Arbeitselement ist nicht Funktionalität, sondern Experimentieren. Im Mittelpunkt der Bemühungen des Unternehmens steht nicht, irgendeine eine Lösung zu bauen, sondern die richtige Lösung zu finden.

☑ Das Unternehmen misst den Erfolg der Produktentwicklung durch A/B-Tests.

☑ „Abgeschlossen“ bedeutet, dass die Auswirkungen auf das Produkt gemessen und analysiert wurden, woraus sich Rückschlüsse ableiten lassen.

☒ Entscheidungen basieren auf Überzeugungen oder Vorschlägen und orientieren sich an vordefinierten Mustern oder an Wettbewerbern.

☒ Es erfolgt kein Monitoring des Nutzerverhaltens.

☒ Es gibt keine A/B-Testpraxis.

3. Die Teams sind in den Produktprozess eingebunden

☑ Designrollen (Designer, UX) und Datenanalysetätigkeiten (Data Scientists, Business Analysts) sind in die Teams eingebettet.

☑ Die Teams definieren nicht nur die zu implementierenden Lösungen, sondern stellen die zu lösenden Probleme auf Basis von Geschäfts- und Benutzerdaten in Frage.

☒ Entscheidungen über Produktentwicklungen werden von Führungskräften getroffen.

☒ Eine eigene Produkt-, Produktmanagement- oder User Experience-Abteilung ist für die Erarbeitung künftiger Lösungen verantwortlich. Teams werden entweder außen vor gelassen oder nur wegen ihrer fachlichen Expertise hinzugezogen. Insbesondere werden Entwickler grundsätzlich nicht zu User-Test-Sessions eingeladen.

☒ Wenn ein Entwickler oder ein anderes Teammitglied eine Produktentscheidung in Frage stellt, wird diese Meinung nicht berücksichtigt und mitunter sogar die Stirn darüber gerunzelt.

☒ Teams, und insbesondere Entwickler, haben keinen direkten Zugang zu den Usern.

4. Alle Teams arbeiten nach agilen Methoden und unterstützen die Produktvision

☑ Das Budget-Management ermöglicht es, durch einen iterativen und kurzfristigeren Ansatz Chancen wahrzunehmen.

☑ Neue Geräte oder Services sind leicht verfügbar. So kann beispielsweise der Kauf neuer mobiler Endgeräte (z. B. Smartphones, Tablets) ohne Verzögerung stattfinden. Die Rechtsabteilung fungiert eher unterstützend als bremsend und erleichtert durch ihre Expertise die Inanspruchnahme neuer Services.

☑ Marketing-, Vertriebs- und Kundendienstabteilungen bringen Kontinuität in die Entwicklung neuer Softwareversionen.

☑ Die Messung der Performance des Teams entspricht der des Gesamtproduktes und damit des Unternehmens.

☑ Andere Abteilungen (z. B. Marketing, Vertrieb, Support, Rechnungswesen usw.) verfolgen eine echte Service-Philosophie und sind bestrebt, den Teams die Arbeit zu erleichtern und sie bei der Erreichung der Unternehmensziele zu unterstützen.

☒ Nur die F&E- oder ISD-Abteilung verfolgt eine agile Arbeitsweise. Die übrigen Abteilungen (z. B. Marketing, Vertrieb, Support, Rechnungswesen, Einkauf, Rechtsabteilung usw.) arbeiten weiter wie bisher.

☒ Budgets werden von Jahr zu Jahr verhandelt.

☒ Das Wichtigste ist die Einhaltung des Prozesses. So sind beispielsweise Kaufvorgänge langwierige Verfahren, bei denen die Rechtsabteilung ein uneingeschränktes Vetorecht hat.

☒ „Abgeschlossen“ bedeutet, dass eine neue Version der Software ausgeliefert wurde. Die Auswirkungen auf den Nutzer oder das Unternehmen werden nicht hinterfragt.

☒ „Effizient“ bedeutet, dass neue Softwareversionen schnell ausgeliefert werden. Die Rentabilität des Produkts wird nicht in Frage gestellt.

Wie agil ist dein Unternehmen?

Was einen erfolgreichen agilen Ansatz im Kern ausmacht, lässt sich in einem Satz zusammenfassen:

„Empirisch arbeiten und Konzentration auf das Geschäft stehen an erster Stelle.“

Diese Aspekte bilden die Basis für echte Agilität, denn:

Die Wahrheit findet sich in realen Einsatzbedingungen mit Endnutzern wieder, aber auch in den Händen der Teams, die die Lösung entwickeln. Dies lässt sich nur durch Experimentieren herausfinden…

Sämtliche Bemühungen des Unternehmens sollten mit der Produktvision in Einklang stehen. Und diese Produktvision sollte das erste sein, an das man denkt, wenn man Erfolg messen will.

Welches Risiko geht man ein, wenn man nicht agil wird? Das lässt sich leicht beantworten. Wenn man das falsche Produkt zu spät entwickelt, wird man am Markt von der Konkurrenz überholt.